An seiner Haut

Samstag, 02. Februar 2013. Ich zünde mir eine Zigarette an und sehe in seine Augen. Draußen wird es allmählich dunkel und die Dämmerung kriecht langsam durch die gardinenlosen Fenster in die Wohnung. Die Luft im Raum ist, wenn auch durch unsere Tabakausdünstungen leicht drückend, angenehm warm, trotzdem habe ich eine leichte Gänsehaut. Allerdings glaube ich nicht, dass die Temperatur etwas damit zu tun hat. Unsere Blicke treffen sich und ich muss lächeln, um Gottes Willen, ich kann es einfach nicht lassen, dieses Lächeln, denn er zwingt mich regelrecht dazu. „Worüber denkst du nach?“ Sein Blick ist ernst, während er mit seiner freien rechten Hand meinen Nacken krault, die linke Hand ebenfalls mit einer Zigarette ausgestattet, an der er ab und zu zieht und dabei so fürchterlich verwegen aussieht, dass ich... „Mhm. Schwer zu sagen.“ Meine Antwort scheint ihn nicht zu überzeugen, denn er zieht die Augenbrauen hoch und wartet. „Ach keine Ahnung, sentimentale Gedanken halt.“ - „Und die wären?“ Ich verkneife mir ein Augenverdrehen. „Ich weiß auch nicht. Ich hab an früher gedacht. Wenn ich so überlege, dass ich morgen schon wieder nach Berlin zum Arbeiten muss, könnte ich ja schon irgendwie kotzen.“ Er lächelt verständnisvoll. „Ja, kann ich verstehen.“ Ein plötzliches Gefühl von Redebedarf überkommt mich. „Irgendwie ist alles so anders geworden. Früher bin ich immer barfuß und nur in Badesachen rausgerannt wenn es einen spontanen Sommerregen gab. Oder früher hab ich stundenlang mit meinen Freunden auf der Straße gelegen und die Sterne betrachtet. Früher ging das halt alles. Und jetzt? Gar nichts geht mehr. Ich stehe auf um zu arbeiten. Ich gehe schlafen um am nächsten Tag arbeiten zu können. Und das seit Jahren. Nichts anderes. Tagein, tagaus. Frustrierend ist das.“ Wir drücken gleichzeitig unsere Zigaretten aus, bevor er mich fest umarmt. „Ich weiß was du meinst. Ich vermisse das auch. Das sollte man bei Gelegenheit mal wieder machen.“ Ich genieße das warme Gefühl seiner Haut und bin plötzlich dankbar dafür, dass es wenigstens diese wenigen wertvollen Tage im Jahr gibt, die ich mit ihm verbringen darf.

2 Kommentare:

  1. Schöner Text, wirklich.
    Darf ich fragen, wie die Schriftart heißt?

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  2. Ziemlich beeindruckend und - wie ich finde - von Text zu Text
    literarisch anspruchsvoller.

    "Die Wüste in mir" :
    Die Beschreibung der inneren Wüste ist gut,
    der Satz "Cottbus bietet keine schönen Plätze für Erinnerungen"
    ist echt stark.
    Das Ende ist mir zu abrupt, Cut mitten in der Szene, man fragt
    sich : Und nun ? Tolles Foto.

    "Alltagsirrtümer" :
    Zahnarzthelferin ? Toll. Gestern gerade Zahn gezogen und jetzt
    dicke Lücke.Na ja, darf ich halt nicht grinsen.
    Das besondere an Deinem Text ist die Tatsache, dass er überhaupt
    funktioniert. Wenn jemand seine innere Zerrissenheit beschreibt,
    versucht er entweder bemüht cool rüberzukommen oder wird zu
    weinerlich. Dir gelingt es die richtige Balance zu halten.
    Beim Foto war mein erster Gedanke : Kleine Schwester von
    Amy Winehouse (I told you I was trouble) ?

    "An seiner Haut" :
    Es ist ziemlich schwierig Szenen solcher Intimität und Nähe
    zu formulieren, ohne dabei kitschig zu werden.
    Gerade wenn man denkt Du steuerst darauf zu ("dieses Lächeln"),
    bekommst Du die Kurve und bleibst auf dem Boden.
    Dadurch wirkt das alles sehr authentisch, berührend und eindringlich.

    Ich finde, Du bewegst Dich auf einem literarisch hohen Level
    und ich bin froh durch Zufall auf die Seite gestossen zu sein.
    Ich hoffe sehr, Du schreibst weiter.

    Danke.

    Tom

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