Wenn du mein Herz zum Tanzen bringst

Samstag, 27. April 2013 Plötzlich sitzt ein unbekannter Typ neben mir. Er hält mir sein Bier hin und ich nehme es verwirrt in die Hand. Sein Grinsen, was man hinter seinem Vollbart eher ahnt als wirklich sieht, ist freundlich. „Ey, gleich kommen die Deftones!“ Ich ziehe meine Augenbrauen hoch. „Und da will ich dich hier nicht so trottelig rumsitzen sehen!“ Jetzt überträgt sich sein Grinsen auf mich, da ich nun verstanden habe. Oh man. Tanzen ist nicht unbedingt meine Stärke. Erst recht nicht zu den Deftones, wenn man das dann überhaupt tanzen nennen kann. Ich versuche mich herauszureden und weiß jetzt schon, dass dieser Versuch scheitern wird. „Ich glaube ich gehöre eher zu den stillen Genießern...“ - „Abgelehnt.“ Ich seufze tief. „Okay, ich bin ehrlich. Tanzen ist nicht meine Stärke...“ - „Abgelehnt! Es sind die Deftones, alter!“ - „Ja ich weiß, es sind die Deftones aber, keine Ahnung, ich schau da lieber zu.“ Genauer gesagt schau ich dir zu und der unbekannte Freundliche stört mich dabei, auch wenn seine Sympathie mir eindeutig gefällt. Doch das ist nun Geschichte, denn die Deftones gehen los und er steht auf, nicht ohne mir noch einen enttäuschten Blick zuzuwerfen. Jetzt habe ich wieder Zeit für dich – die wenigen Sekunden der Ablenkung sind auf einen Schlag vergessen. Denn du bist gerade am Tanzen. Und auch wenn du nicht tanzen kannst, Tanzen steht dir trotzdem. Deine langen Beine bewegen sich im Takt der taktlosen Musik, du lässt deine Haare wirbeln, dein Mund ist weit geöffnet und dein Atem geht flach. Dann im kurzen Moment der stille wirfst du mir ein schnelles Grinsen zu – und bringst mich damit zum Grinsen. Denn du siehst gut dabei aus. Ich könnte noch Stunden hier auf der kalten Heizung sitzen und dir zusehen, nicht ahnend, dass wirklich noch viele Stunden vergehen werden bis wir taumelnd und lachend die Veranstaltung verlassen werden, mit kalten Füßen und zitternden Fingern, die nicht mehr fähig sind eine Zigarette zu halten, dafür aber mit Köpfen und Herzen voller Liebe, die uns das Gefühl gibt, jede Kälte überstehen zu können.

1 Kommentar:

  1. Liebe Anni,

    vielen Dank für Deine Mitteilung. Selbstverständlich
    verfolge ich weiterhin - und das mit Vergnügen -
    Deine literarischen Arbeiten.
    Ich bin sehr gespannt, sowohl auf Deine weitere
    Entwicklung, als auch auf die Entwicklung der Geschichte.
    "Wenn du mein Herz zum Tanzen bringst", finde ich sehr interessant, weil ich diesmal einen anderen Zugang zu diesem Kapitel finde.
    Bei "Die Leiter zur Erinnerung" z.B. (aber auch bei "Alltagsirrtümer" und "An seiner Haut") verwendest Du mitunter Formulierungen bei denen man als Leser mit offenem Mund vor sich hin staunt.
    Wenn man "Wenn Du mein Herz zum Tanzen bringst"
    nur überfliegen würde, könnte man dem Irrtum erliegen, dass es sich um ein schwächeres Kapitel handelt, vielleicht auch deshalb, weil man schon ein paar Szenen die in einer Bar/Club spielten gelesen hat.
    Da Deine Texte viel zu kostbar sind, um sie nur nebenbei zu überfliegen, hoffe ich, dass auch alle anderen Leser sich angemessen mit ihnen beschäftigen, denn bei diesem liegen die Stärken im Detail.
    Mag sein, dass ich ein Faible für eine gewisse Portion Kitsch habe, mir gefällt jedenfalls schon der Titel in Verbindung mit der anschließenden "Tanzszene" ausgesprochen gut.
    Der Text selbst ist dann zunächst einmal gut gelungen, man bleibt als Leser dabei und ist gespannt, gut gefällt mir "das Bewegen im Takt der taktlosen Musik".
    Zum Ende dieses ja relativ kurzen Textes bricht dann aber Dein literarisches Talent wieder voll durch : Wie Du das gemeinsame taumelnde und lachende Verlassen der Veranstaltung ankündigst, ist einfach unheimlich geschickt formuliert.
    Und noch sehr viel besser ist diese Gegenüberstellung
    der kalten Heizung / kalten Füße mit dem Gefühl jede Kälte überstehen zu können.
    Man kennt das Gefühl mit kaltem Hintern auf der Heizung zu hocken, oder mit verfrorenen Zehen irgendwo in der Kälte rumzustehen und dann kommt da plötzlich dieses starke Gefühl, das zumindest all die innere Kälte völlig verschwinden lässt.
    Dieser letzte - sehr lange Satz - dieses Kapitels ist für mich wirklich überragend, nicht nur weil er inhaltlich toll, sondern
    auch weil er mutig ist. Du gibst Dich in Deiner Geschichte selten mit mittelmäßigen Gefühlen zufrieden, man ist entweder in der Hölle oder im Himmel und Du läufst in so einer Situation dann Gefahr, dass sich manch Leser denkt : "Häh ? Wie kann denn ein Typ, den man gerade beim Tanzen beobachtet, ein paar Stunden später einem
    ein solch umfassendes Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit vermitteln ?"
    Und ich denke auch, dass Leute, die nicht Deine
    literarische Begabung haben, an dieser Stelle scheitern würden.
    Aber Dein Schreibstil geht so unter die Haut, dass man Dir das abnimmt.
    Man kann aus so einer Szene etwas für ein 1 Euro 50 Bianca-Heft für den Kiosk machen, oder etwas
    authentisches, das den Leser bewegt.
    Und das hast Du wieder mühelos geschafft.
    Für mich ist das in doppelter Hinsicht spannend : Ich schreibe seit über 30 Jahren, aber für Romane fehlt mir völlig das Talent und wenn ich dann so einen Satz lese, frage ich mich : Wie wirst Du erst in 10 Jahren schreiben ?
    Wenn Du damit ernsthaft weitermachst, ist mit
    Sicherheit Großes zu erwarten.
    Ebenfalls spannend ist die Frage, ob Du irgendwann in der Geschichte anfangen musst, um die Sprache zu kämpfen oder weiterhin scheinbar
    mühelos voran kommst. Mich würde interessieren, ob Du so einen Text mehrfach überarbeitest oder ihn meistens so lässt, wie Du ihn zu Papier bzw. auf den Bildschirm bringst. Ich vermute mal letzteres ?
    Mach auf jeden Fall weiter !!!!

    Tom

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